Super Express

Wer der Meinung ist, Reisen im Bus sei langweilig, ist noch nie mit Pasang Lhamu’s Super Express gefahren. Die folgende Fahrt hat sich tatsächlich so am 29. November 2012 abgespielt. Als Zeugen kann ich einen Bus voller Passagiere angeben.

km 0 – 5:30 Uhr, neuer Bus Park Kathmandu, Abzweigung Trishuli-Straße.
Ein kalter Morgen, es ist noch dunkel, einige Straßenhändler sind schon da und haben kleine Feuer entzündet um sich zu wärmen. Ein paar dick eingemummelte Passagiere stehen frierend neben den noch wenigen Bussen.
Der Bus nach Trishuli soll um 5:30 abfahren, schnell Fahrkarten besorgen und einsteigen!
5:35 Uhr: Ich sitze im halbvollen Bus, kein Fahrer und kein Kalashi zu sehen. Der Kalashi ist der zweite Mann der Besatzung und erfüllt die Funktion des Schaffners und Platzanweisers und ist Mädchen für alles. Auf der Frontscheibe des Busses steht in voller Breite „Pasang Lhamu“, darunter in etwas kleinerer Schrift „Super Express“.
5:40 Uhr: Der Fahrer erscheint und lässt den Motor zum Warmlaufen an. Er hat lange, zum Pferdeschwanz gebundene Haare und auf der Stirn eine Narbe vom Haaransatz bis zur Augenbraue. So einer fürchtet weder Tod noch Teufel. Soll ich ihm jetzt mein Leben anvertrauen?
5:45 Uhr: Auch der Kalashi erscheint. Es beginnt die langwierige und von viel Geschrei begleitete Prozedur des Ausparkens.
5:50 Uhr: Der Bus ist endlich frei. Es geht los. Ich habe einen Platz hinter der Eingangstüre, dort gibt es ausrechend Beinfreiheit. Etwa ein Drittel der Plätze sind noch frei.

km 0,3 – Vier traditionell gekleidete Frauen mit großen Tragekörben (sog. Dokhus) steigen ein. Die Dokhus füllen den Mittelgang, die Frauen verwickeln die Passagiere lachend in Gespräche. Es wird sehr fröhlich im Bus.

km 0,8 – Der Fahrer schaltet den DVD-Spieler ein. Der einzige Lautsprecher wird bis zum Anschlag aufgedreht. Von Rauschen begleitet ertönen Indien-Schlager: Sehr schmalzig, viele Klimper-Instrumente, männlicher und weiblicher Gesang im Wechsel, niemals gleichzeitig. Die Frequenz der Frauenstimme ist knapp unter der Hörgrenze. Jedes Stück dauert mindestens 10 Minuten, den Wechsel erkenne ich an der kurzen Pause dazwischen. Jetzt ist keine Unterhaltung mehr möglich, die vier Frauen verstummen, sind aber weiter fröhlich.

km 3 – Die Dokhu-Frauen steigen wieder aus. Die Musik ist weiterhin ohrenbetäubend. Mir wird kalt weil der Kalashi dauernd die Türe offen lässt. Auf meine Aufforderung hin macht er sie zu. Der verbleibende Spalt ist etwa eine Hand breit. Es zieht weiterhin fürchterlich.

km 4 – Polizeistation. Der Kalashi muss zur Anmeldung raus und lässt anschließend die Türe wieder offen.

km 8 – Eine der beiden Frauen zwei Reihen hinter mir sieht recht leidend und blass aus.

km 10 – An der Türe ist es saukalt. Ich wechsle ein paar Reihen nach hinten. Hier ist es wärmer, allerdings sitze ich jetzt direkt auf der Hinterachse, deren Federung schon lange nicht mehr funktionsfähig ist. Ich muss mich gut festhalten um nicht gegen die Gepäckablage katapultiert zu werden. Der Fahrer drückt kompromisslos auf Tempo und ignoriert alle Schlaglöcher.

km 12 – Die blasse Frau kotzt jetzt zum Fenster raus. Es dämmert. Noch ist alles im Nebel.

km 15 – Pinkelpause. Männer auf die andere Seite der Straße (zum Berg hin), die Frauen verschwinden (vorübergehend) hangabwärts.

km 16 – Plötzlich sind wir aus dem Nebel raus. Der Blick wird frei auf die steilen bewaldeten Falten des Vorgebirges, an denen sich die Straße entlanschlängelt. 1200m weiter unten ist der Fluss. Am Horizont reihen sich die Eisreisen auf. Die blasse Frau hält in regelmäßigen Abständen den Kopf zum Fenster raus.

km 20 – Eine Bäuerin steigt ein. Sie hat etwa 50 kg Rettiche dabei, die Bündel für Bündel eingeladen werden und jetzt den Mittelgang bis Armlehnenhöhe füllen.

km 21 – Ein Bündel Rettich hat sich selbständig gemacht und ist durch die offene Tür rausgefallen. Aufregung, Zurücklaufen, Rettiche gerettet.

km 26 – Der Frau neben der blassen Frau ist jetzt auch schlecht. Abwechselnd sitzen die beiden am Fenster und halten den Kopf raus.

km 27 – Eine Erdrutsch-Stelle in Reparatur. Ein blauer Kieslaster steht mitten auf der Fahrbahn. 3 Männer und 2 Buben werfen mit bloßen Händen Steine auf die Ladefläche. Wir warten bis sie fertig sind und der Laster die Straße freigibt.

km 30 – An einer besonders engen Stelle kommt ein Lkw entgegen. Wir fahren auf ihn zu, bis beide Fahrzeuge sich auf einen Meter gegenüberstehen. Durch die Windschutzscheiben mustern sich die beiden Fahrer. Keiner will nachgeben. Nach 2 Minuten lautlosen Kräftemessens gibt unser Fahrer nach. Der Kalashi muss nach hinten und versucht, durch die Heckscheibe peilend, den Fahrer mit Pfeifen und Rufen davon abzuhalten, rückwärts in den Abrund zu fahren. Es gelingt.

km 32 – Bei einem Sitz auf der anderen Seite des Ganges ist die Verankerung der Rückenlehne gebrochen. Der Mann dort hat jetzt keine Rückenstütze mehr, der hinter ihm hat die Lehne auf dem Schoß. Beide schauen stoisch nach vorne als sei nichts geschehen. Die blasse Frau telefoniert seit etwa 10 Minuten mit ihrem Smartphone ohne zu kotzen. Gibt es eine App gegen Reisekrankheit?

km 34 – Jetzt hat sich ein Sitz in der hintersten Reihe gelöst und ist polternd in den Mittelgang gefallen. Er liegt direkt hinter den Rettichen. Die Straße ist aber auch besonders holprig hier.

km 35 – Der Kalashi kommt um die gebrochene Rückenlehne zu reparieren. Der lose Sitz auf dem Boden interessiert ihn nicht.

km 36 – Die Rückenlehne ist wieder zurückgefallen. Ist wohl nichts zu machen. Ein älterer Mann, dick eingepackt, Wollmütze, darüber ein blauer Bauhelm, steigt ein.

km 38 – Auf dem Dach scheint irgend etwas nicht in Ordnung zu sein. Der Kalashi klettert nach oben, bei voller Fahrt natürlich.

km 39 – Das auf dem Dach war wohl Fehlalarm. Der Kalashi ist wohlbehalten wieder zurück. Zwei Kühe auf der Straße werden sehr langsam und vorsichtig umfahren.

km 40 – Ein Bus mit offensichtlich befreundetem Fahrer kommt entgegen. Einige Minuten Unterhaltung von Fenster zu Fenster. Kurz darauf ein Marktflecken. Die Frau mit den Rettichen steigt aus.

km 42 – Der Mann mit dem blauen Bauhelm steigt aus. Weit und breit keine Baustelle zu sehen.

km 45 – Zweite Pinkelpause. Dschingis Khan hat wohl Blasenprobleme. Nur wenige Fahrgäste machen mit.

km 47 – Ein Büffel auf der Fahrbahn. Wir passieren zügig. Die blasse Frau kotzt wieder. Die App taugt nichts.

km 50 – Vor uns ist ein anderer Bus liegen geblieben. Wir laden die gestrandeten Fahrgäste ein. Jetzt ist es vorbei mit dem Platz-Luxus. In Nepal gilt der einfache Grundsatz „Wo ein Körper ist, da kann kein zweiter sein“ nicht.
Alle, die auch nach Nepal-Standard nicht mehr reinpassen, müssen aufs Dach.

km 54,9 – Anhalten, die Passagiere vom Dach gehen zu Fuß weiter.

km 55 – Polizeistation

km 55,1 – Die Dach-Passagiere steigen wieder auf. Auf dem Dach fahren ist offiziell verboten.

km 58 – Ein ganz alter Mann steigt aus. Langsam, auf den Stock gestützt, arbeitet er sich durch den Gang nach vorne. Überall freundliche Gesichter und helfende Hände. Der Kalashi ist extrem bemüht und trägt den alten Mann fast die Stufen herunter.

km 65 – 9:05 Uhr, Ankunft in Bhattar. Ich muss aussteigen und freue mich auf die Rückfahrt.

Anmerkung: Bilder von der Fahrt habe ich nicht – alle verwackelt. Dafür zeige ich Euch ein paar Photos aus meinem Archiv.

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