Anitas Vater hat uns zu einer Puja eingeladen. Etwa zwei Autostunden östlich von Kathmandu erreicht man ein kleines hinduistisches Heiligtum, in dem eine Schar von Brahmanen seit 36 Jahren permanent Andacht abhalten. Der 7/24 Service will natürlich finanziert sein und die Betreiber wollen etwas zu Essen haben. Daher ist es üblich, dass gläubige Hindus den Betrieb für jeweils einen gewissen Zeitraum finanzieren. Das hat Anitas Vater für eine Woche übernommen.
Seine Angehörigen, insbesondere seine Kinder sind nicht unbedingt nur begeistert von dieser Aktion. Sie ist für nepalische Verhältnisser ziemlich teuer. Jetzt, wo gerade der Neubau des Famlienhauses ansteht, sollten die begrenzt vorhandenen Mittel anders priorisiert werden. Aber der ohnehin sehr religiöse alte Herr ist wohl der Meinung, dass es am Abend seines Lebens vordringlicher ist, nochmal ordentlich ins Karma zu investieren. So kollidieren die Anforderungen dieses und des nächsten Lebens.
Es ist auch üblich, dass alle Verwandten und Freunde eingeladen werden, sich wenigstens einmal dieser Veranstaltung anzuschließen. Schließlich ist das ein Zeremonie, die ein Hindu sehr selten oder nur einmal im Leben feiert. Katharina und ich sehen es als große Ehre an, auch dazu geladen worden zu sein.
Schon von weitem hören wir die von Lautsprecher verstärkten Gesänge über die grünen Hügel schallen. Die Tonfolge ist schlicht und nicht länger als zehn Takte, der Text besteht aus der Wiederholung des Namens Narayan, eines hinduistischen Gottes. Begleitinstrumente der gelbgewandeten Priester sind die übliche Blasebalg-Harmonika, eine Art Bongos und kleine Schellen. Unsere Ankunft mit einer Gruppe von Verwandten löst natürlich einiges an Hallo aus. Alle begrüßen und umarmen sich. Segen und Tikas werden ausgetauscht. Die gelben Mönche lächeln dazu freundlich und singen ohne Unterlass ihr Narayan.
Wir Neuankömmlinge werden dann verköstigt. Das übernehmen Priester, die gerade keinen Gesangsdienst haben. Vorschriftsmäßig nur mit einem weißen Tuch um die Hüften bekleidet versorgen sie uns mit Dal Bhat. Alle Priester leben nach strengen Regeln, die der Erhaltung ihrer Reinheit dienen.
Die Wände des Tempels sind mit tausenden Portraits vollgehängt. Man kann sich hier sozusagen einkaufen und bekommt dafür außer dem Portrait an der Wand zu jedem Geburtstag eine Puja gewidmet, posthum zusätzlich zum Todestag. So fern sind sich das katholische und das hinduistischen Bergvolk eben doch nicht.
Nach dem Essen begeben wir uns wieder in den Tempel und vertiefen uns zunächst einige Zeit in den meditativen Gesang. Die Gedanken haben jetzt Ausgang und kehren gelegentlich seltsam verwandelt zurück. Hätte „Narayan“ beim European Song Contest eine Chance? Die Substanz der Melodie reicht allemal, der Text auch, andere schaffen es mit der Wiederholung der Bärbel vom Winterdienst (Barbra Streisand) bis in die Charts. Wie bekommt Nepal die Zulassung zum europäischen Wettbewerb? Bin ich vielleicht noch nicht reif genug zur Meditation?
Nun verändert sich tatsächlich etwas. Es kommen mehr Sänger dazu, der Rhythmus wird lauter und fordernder. Dies ist der Beginn der Puja, bei der symbolisch Früchte geopfert werden und das Wohlwollen der Götter erfleht wird. Ein Brahmane schreitet sehr würdevoll immer wieder im Kreis der Umsitzenden und vollzieht die zahlreichen rituellen Handlungen. Die anderen unterstützen durch den bekannten Gesang, der die wichtigsten Abläufe durch Steigerung von Tempo und Lautstärke hervorhebt. Ein Teil der Rituale wird anschließend nochmals von den Angehörigen wiederholt. Kundan, Ánitas dreijähriger Sohn, ist hierbei besonders eifrig und bemüht, jede Geste des Priesters nachzuahmen. Der hat ihm aber bestimmt nicht vorgemacht, wie man sich einen Apfel aus den Opfergaben stibitzt und ihn genüsslich verspeist, was wiederum die ganze Gemeinde heftig zum Schmunzeln bringt.
Diese vielen für uns neuen und spannenden Dingen lassen die Zeit schnell vergehen und der Europäer ächzt am Ende stark, wenn er sich wieder aus der ungewohnten Sitzhaltung entfalten kann. Mit unseren großen roten Tikas auf der Stirn tragen wir den Segen der Götter und viele neue Erfahrungen mit nach Hause.
Wir haben den Puja-Bericht – wie alle anderen vorher auch – mit großem Interesse gelesen und sind sehr davon angetan. Möge der Segen der Götter, den Ihr hier erworben habt, für alles Zeiten wirken. Freuen uns auf weitere Berichte.
Helga und Gerd
Danke für diesen sehr interessanten Bericht. Helga und Gerd